Rettet den Blauen Wal!

Zu klein. Wir sagten es bereits. Berliner Schulen sind zu klein.

Unser heutiges Beispiel im 21. Türchen, die Kreuzberger Zille-Grundschule hat dieses Problem auch: Essen in 20-Minuten-Schichten, Pausen nach Jahrgängen getrennt. Nichts Aufregendes. Das Übliche.

Wenn da nicht das Bezirksamt Kreuzberg mit seiner Schulentwicklungsplanung wäre.

Denn wie in manchen anderen Bezirken auch, sind die Erstklässler quasi über Nacht über die Schulen gekommen. Kaum geboren, schon schulreif. Na sowas. Hat keiner mit gerechnet.

Und die Zille Grundschule hat noch ein wenig Platz. Nicht viel, aber für einen Modularen Ergänzungsbau reicht es. Für den Bolzplatz, ein Labyrinth, ein Amphitheater oder den Blauen Wal – Bewegungshighlights für die Zille-Kinder – bedeutet dies das Aus.

Logisch, dass die Kreuzberger Eltern wütend werden:

Die Zille Grundschule an der Boxhagenerstrasse wirkt auf den ersten Blick wie von einem anderen Stern. Fröhlich schreiende Kinder klettern inmitten von Hecken und Bäumen über Klettergerüste, hetzen, umrahmt von großen Pappeln, die sich während des Sommers im Wind wiegen, beim Fußball über einen Bolzplatz mit grauer Betondecke. An einer anderen Stelle ziehen sich einige Kinder zum ruhigen Spiel in ein mit EU-Subventionen erbautes Labyrinth zurück. Eine frisch sanierte Fassade. Das letzte Baugerüst wurde gerade erst vor einer Woche nach einer mehrjährigen Sanierungsphase abgebaut. Dem Augenschein nach ein Idyll. Gut, die stinkenden Toiletten gibt es auch hier. Aber dem ersten Blick nach scheint das eine Schule zu sein, die so gar nicht in den Adventskalender mit seinen zum Teil unglaublichen Schreckensbildern passt.

Doch auch hier machen sich die ersten dunklen Vorzeichen bemerkbar. In einer für Berlin typischen Verwaltungsposse. Höhepunkt ist eine Machbarkeitsstudie, die eigentlich besagt, dass etwas so nicht machbar ist. Aber gemacht werden soll, weil es so gemacht werden muss. Weil vorher nichts gemacht worden ist. Kafka scheint hier Drehbuch geschrieben zu haben.

Schulansicht von der Boxhagenerstrasse. Die sanierte Fassade. Rechts der Anbau mit den neuen Unterrichtsräumen
Schulansicht von der Boxhagenerstrasse. Die sanierte Fassade. Rechts der Anbau mit den neuen Unterrichtsräumen

Erste Klassen haben bereits keine eigenen Horträume mehr, müssen in den Pausen in den Klassenräumen verbleiben. Pause gibt es nur nach Jahrgängen versetzt. Genau wie das Mittagessen, bei dem in 20 Minuten Abschnitten für die einzelnen Jahrgänge die Essensrationen ausgegeben werden. Schulhof und Mensa sind zu klein. Statt sich um pädagogische Arbeit kümmern zu können, müssen die Erzieher zu Beginn des Schuljahres logistische Meisterleistungen vollbringen. Das, obwohl die Kapazitäten mit den Umbaumaßnahmen erweitert worden sind. Denn die Zille Grundschule verfügt über etwas, um das viele überfüllte Schulen in Berlin ringen. Raum! Freiraum, um genau zu sein. Platz für Schüler. Zum Lernen und Toben. Platz zum Wachsen und leben. Eine absurde Situation.

Das Schulgebäude von hinten. Mit Eingangsbereich. Hier wurden letzte Woche die letzten Gerüste abgebaut.
Das Schulgebäude von hinten. Mit Eingangsbereich. Hier wurden letzte Woche die letzten Gerüste abgebaut.

Raum wird dringend benötigt in Friedrichshains Schulen. Denn die Finanz- und Verantwortungsjonglage zwischen Senat und Bezirk hat dazu geführt, dass es versäumt wurde, rechtzeitig ausreichend Schulraum in einem dynamisch wachsenden Bezirk zu schaffen. Jetzt sind sie da. Die Kinder, die an die Türen der Schulen klopfen. Was nicht da ist, sind ausreichend Schulplätze. Der fehlende Mut bei der Planung und Umsetzung der dringend notwendigen Schulneubauten fallen dem Schulamt jetzt auf die Füße. Wohin also mit den Kindern? In Zeiten klammer Kassen versuchen sich Bezirk und Senat in improvisierten Schnellschüssen. Der Senat stellt im Rahmen des „Sondervermögen Investitionen für die Wachsende Stadt“ (SIWA) Geld zur Verfügung, bezahlt damit vorgefertigte Betonklötze von der Stange. Diese improvisierten Gebäude nennen sich steif „Modulare Ergänzungsbauten“, kurz „MEB“. Für den Bezirk eine verlockende Lösung. Denn zum einen sind die Plattenbauten schnell errichtet, sehen einigermaßen ordentlich aus und schlucken die Schulanfänger, die sonst an anderen Schulen untergebracht werden müssten. Aber vor allem: ein MEB kostet den Bezirk – zunächst – kein Geld.

So auch an der Zille Grundschule. Hier hat der Bezirk den dringend benötigten Raum ausgemacht. Dringend benötigt, um die anklopfenden Kinder unterzubringen. Aber auch dringend benötigt, um eigene Versäumnisse zu kaschieren! Niemand im Schulamt will den Eltern der kommenden Schulanfänger entgegentreten und sagen: „Schön, dass Sie hierher gezogen sind, aber wir haben keinen Platz für Ihr Kind geschaffen. Gehen Sie bitte woanders hin.“

Als Lösung will also das Schulamt in den „Frei“-Raum zwischen Boxhagener- und Wühlischstrasse diesen MEB bauen. Ein 20 mal 30 Meter großes Monstrum, ähnlich passend wie der schwarze Monolith in Kubricks „Odyssee im Weltraum“. Allerdings in grün.

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Schulansicht von der Wühlischstrasse. Im Hintergrund das Schulgebäude. Davor der Bolzplatz, der zu großen Teilen vom MEB belegt wäre. Im Vordergrund links das Labyrinth, das mit EU-Subventionen gebaut worden ist. Im Rahmen der Bauarbeiten würde der Bereich als Baustellenzufahrt dienen und das Labyrinth abgerissen und nicht wieder aufgebaut werden. Rechts die Turnhalle, die abgerissen und durch einen größeren Bau ersetzt werden müsste. In der Mitte ist der blaue Wal zu sehen, der zusammen mit dem Labyrinth abgerissen und nicht wieder aufgebaut werden würde.

So wird also neuer Schulraum geschaffen. Das Problem: diese Räume bleiben nicht leer. Die sollen ja mit neuen Schülern aufgefüllt werden. Der Haken: Jedem Schüler steht wieder neuer Raum zu. Weniger als einem deutschen Schäferhund. Aber immerhin. Das nennt sich dann „Musterraumplan“. Ein Plan, der bestimmt welche Räume in welcher Größe in einer Schule pro Schüler zur Verfügung stehen muss. Oder auch nicht.

Dazu wurde vom Bezirk eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Dummerweise besagt die aber, dass der Bau so eigentlich nicht machbar ist. „Machbar“ wird das Ganze nur auf Weisung des Schulamts. Der Musterraumplan sei ja nur eine Empfehlung. Meint man dort.

Zur Dimension: Die nutzbare Fläche des MEB beträgt etwa 1000 qm. Die Schülerzahl steigt von 400 auf 600 Schüler. Da sagt aber die zitierte Studie: Es fehlen 1250qm an ergänzenden Räumen. Darüber hinaus sei die Turnhalle jetzt 1000 qm zu klein und den Schülern werde zirka 3000 qm Freiraum zu wenig zur Verfügung gestellt. Um das Problem zu lösen schlägt die Studie die Reduzierung der Schülerzahlen vor. Das will das Schulamt aber nicht. Die Absurdität erklärt sich, wenn man die Finanzierung betrachtet. Die MEB werden vom Senat bezahlt. Alles was im Anschluss drumherum gebaut werden muss ist dann Sache des Bezirks. Der Bezirk verfügt aber nicht über ausreichend Geld und Zeit um das parallel lösen können. Unter dem Druck der Schulanfänger, für die nicht rechtzeitig Schulraum geschaffen worden ist, greift man nach dem Strohhalm des Senats und verschiebt alles andere auf einen späteren Zeitpunkt. Also der gleiche Mechanismus, der erst die MEB notwendig gemacht hat! Der Senat ist dann wiederum fein raus, weil er ja das Geld für die MEB zu Verfügung gestellt hat. Ein Bruchteil dessen, was für die einzig sinnvolle Lösung – Schulneubauten – benötigt würde.

Die Ironie: Selbst wenn die fehlenden Quadratmeter Raum in absehbarer Zeit geschaffen werden, sind die Probleme des Bezirks damit nicht gelöst. Es existieren Prognosen, die alleine für die Zille-Grundschule statt der avisierten 600 Schüler zwischen 700 und 800 Schüler als Bedarf vorhersagen. Es ist also bereits jetzt abzusehen, dass trotz MEB der Platz an der Zille-Schule nicht reichen wird! Da wird dann schulterzuckend seitens des Schulamts auf das Problem der steigenden Geburtenzahlen verwiesen.

Doch das ist falsch! Wir haben kein Problem mit dem Anstieg der Geburtenzahlen. Wir haben ein Problem mit den Versäumnissen in Senat und Bezirk. Ein Problem mit einem Kompetenzgerangel, welches das Berliner Bildungssystem in weiten Teilen lähmt. Die Leidtragenden? Die Kinder! Sie sollen immer schneller durch ein Bildungssystem geschleust werden, dass seinen Namen nicht verdient. Unter Voraussetzungen, die sich nicht an pädagogischen Erfordernissen orientieren. Politische Interessen und menschliche Schwächen sind wichtiger als Lerninhalte.

Der Bolzplatz. Im Sommer der sonnigste Platz. Bewegungsraum nicht nur zum Fußballspielen. Die Bäume im Hintergrund sollen komplett vernichtet werden. Auf der rechten Seite soll der MEB entstehen.
Der Bolzplatz. Im Sommer der sonnigste Platz. Bewegungsraum nicht nur zum Fußballspielen. Die Bäume im Hintergrund sollen komplett vernichtet werden. Auf der rechten Seite soll der MEB entstehen.

Noch spielen die Kinder auf dem Bolzplatz. Manchmal kommen sie und fragen: warum nehmen „die“ uns denn den Bolzplatz weg? Da steht man da und sucht nach einer vernünftigen Antwort…

 

Thomas Breddermann

Elternvertreter der Klasse 1-2 f, Zille GS Boxhagenerstrasse.

Blick auf die Pappeln. Der Bereich im Vordergrund würde komplett abgerissen. Auch die vielgenutzte Rutsche rechts. Die soll irgendwo wieder aufgebaut werden. Wo ist allerdings mangels konkreter Planung unklar. Solange wird sie eingelagert.
Blick auf die Pappeln. Der Bereich im Vordergrund würde komplett abgerissen. Auch die vielgenutzte Rutsche rechts. Die soll irgendwo wieder aufgebaut werden. Wo ist allerdings mangels konkreter Planung unklar. Solange wird sie eingelagert.
Amphitheater zwischen Labyrinth und Bolzplatz. Wird ebenfalls für die Baustellenzufahrt abgerissen.
Amphitheater zwischen Labyrinth und Bolzplatz. Wird ebenfalls für die Baustellenzufahrt abgerissen.
Eingang zum Labyrinth. Gefördert mit EU-Mitteln. Abgerissen für die Baustellenzufahrt. Wird nicht wieder aufgebaut.
Eingang zum Labyrinth. Gefördert mit EU-Mitteln. Abgerissen für die Baustellenzufahrt. Wird nicht wieder aufgebaut.
Blick von der Wühlischstrasse. Links soll der MEB entstehen. Das Holzpodest soll genauso abgerissen werden, wie der gelbe Buchstaben Obelisk, Der Baum am Holzpodest wird vernichtet.
Blick von der Wühlischstrasse. Links soll der MEB entstehen. Das Holzpodest soll genauso abgerissen werden, wie der gelbe Buchstaben Obelisk, Der Baum am Holzpodest wird vernichtet.
Der blaue Wal. Zwischen Labyrinth und Bolzplatz gelegen. Soll abgerissen werden. Dort sollen verkleinerter Bolzplatz entstehen. Direkt vor den Fenstern der Klassenräume des MEB.
Der blaue Wal. Zwischen Labyrinth und Bolzplatz gelegen. Soll abgerissen werden. Dort sollen verkleinerter Bolzplatz entstehen. Direkt vor den Fenstern der Klassenräume des MEB.
Die Turnhalle. Bereits jetzt zu klein. Würde abgerissen und durch eine größere halle ersetzt werden. Der Baumbestand würde vernichtet.
Die Turnhalle. Bereits jetzt zu klein. Würde abgerissen und durch eine größere halle ersetzt werden. Der Baumbestand würde vernichtet.